Erster Kontakt 

Da mich all meine angeschriebenen Favoritinnen erneut im Stich ließen, freute ich mich sehr über Post von  „Lilly 42“,  die mein Profil und insbesondere meine Ausführungen zur Partnerschaft sehr einfühlsam fand – sag ich doch, also doch mit Gefühl – dass sie aber meine Bilder gar nicht erwähnte, kränkte mich ein bisschen. In unseren Mails erfahre ich, dass sie allein direkt am Ufer des Tegernsees lebt und einen erwachsenen Sohn hat, der aber schon ausgezogen ist. Nach einer Woche des Austausches von allerlei privaten Details verlangte Lilly eine Stimmprobe per Telefon. Ich versuchte, das Tempo etwas herauszunehmen, indem ich vorgab, einige Tage unterwegs zu sein, würde dann aber unmittelbar nach meiner Rückkehr die Sache umgehend in Angriff nehmen. Nach der von mir erzwungenen Galgenfrist kam Lilly beim ersten Kontakt sofort wieder auf den Punkt, und noch bevor ich eine Möglichkeit fand, die Modalitäten auszuhandeln, war ich im Besitz ihrer Telefonnummer. Mein einst so souveräner Umgang mit der Damenwelt hat mit der schon fast einjährigen Zwangspause und meinen körperlichen Defiziten erheblich gelitten und gipfelt in Selbstzweifeln, ob ich dieses Telefonat ohne größere Peinlichkeiten hinbekomme – ich fühlte mich absolut unsicher. Meine Zweifel stiegen proportional mit der Uhrzeit. 15 Minuten vor dem vereinbarten Termin könnte ich eigentlich noch einmal duschen – gut, dass nur der Ton und nicht auch Gerüche übertragen werden. Kurz vorher prüfe ich noch einmal alle Optionen, die ich in meiner gefühlten Notlage noch habe, ich könnte mich einfach tot stellen … besser noch, das heimische Telefonnetz außer Funktion setzen … noch besser … schnell ein Glas Rotwein, was gegen zu viel „Max“  hilft, lässt mich auch ein ungeliebtes Telefonat überstehen.

Einschenken, trinken … die Zeit ist schon um 5 Minuten überzogen … soll ich jetzt überhaupt noch? Der Punkt ist erreicht, an dem ich mein eigenes Verhalten peinlich finde und deshalb trotzig zum Hörer greife. „Ah … hallo Lilly … ich bin es … äh … der  Michael … ich sollte dich doch …“ Genau so ein Gestammel sollte einem 190 cm großen Kerl, der zudem in den letzten 20 Jahren nicht gerade monogam gelebt hat, bei seinem ersten Anruf eigentlich nicht passieren. Das Telefonat selbst wäre einigermaßen gut verlaufen, aber mein Hals brauchte im 30-Sekunden-Takt  Wasser, da sich kein Tropfen Feuchtigkeit mehr im Mund befand und die Zunge anzukleben drohte. Obwohl ich Lilly das Prozedere mit einer Halsentzündung erklären wollte, denke ich, dass sie mich durchschaut hat – ein neuer Tiefpunkt für mein Ego.

Zu meiner Verwunderung bestand Lilly auf weiteren Telefonaten, sie liebte es, eine Unterhaltung zu führen, die sprachlich gewählt und geschliffen war, kein Dialekt oder Umgangsjargon, sie konnte eine Vielzahl von konsumierter Literatur vorweisen, die auch im Gespräch ausführlich behandelt wurde. Gespräche mit ihr waren niemals kurz und ich fand dadurch wieder langsam zu meiner gewohnten Sicherheit zurück. Sie konnte mich ja ohnehin nur hören und meine gefühlten Defizite waren außen vor.

Leider war Lilly  das gesprochene Wort nach weiteren zwei Wochen zu wenig und sie ermutigte mich ob der kurzen Distanz unserer Wohnorte zu einem Vier-Augen-Gespräch in ihrem Domizil.  Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine Krücken schon längst abgelegt, aber den Fels in der Brandung konnte ich noch nicht vortäuschen. Meine Zurückhaltung schien sie anzuspornen, mich weiter zu ermutigen und dies endete schließlich  in der offenen Aufforderung, bei meinem anstehenden Besuch nicht die Zahnbürste zu vergessen. So in Fahrt gekommen, eröffnete mir meine eloquente Freundin, die ich ja noch gar nicht wirklich kannte, ganz nebenbei eine Reihe von Intimitäten, die man zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt wissen möchte. Die Gute schien erheblichen hormonellen Unterzucker zu haben. Ich fürchtete, dass weder mein geschundener Körper noch meine Psyche einem solchem Frontalangriff gewachsen wären –zu früh – ich musste passen.

Die Gespräche jedoch würden mir sicher fehlen – schade das kam ein bisschen zu früh.